Wer an Neurodermitis leidet, der weiß, was Juckreiz bedeutet. Er macht einen im wahrsten Sinne verrückt, ist unerträglich.

Nicht-Betroffene können das nicht nachfühlen und haben meines Erachtens kein Recht, „gut gemeinte“ Ratschläge zu geben.

Der Umgang mit dem Juckreiz ist deshalb ein fundamentales Thema bei der Neurodermitis.

Basis ist natürlich, die trockene Haut gut zu pflegen und ausreichend Wasser zu trinken, da ausgetrocknete Haut und Wassermangel Juckreiz auslösen bzw. verstärken können. Aber das setze ich als bekannt voraus.

Als kleine Hilfestellung zum besseren Verständnis und HaUmgang habe mal eine Hierarchie zum Juckreiz entwickelt, die vor allem Eltern -hoffentlich hilfreiche- Hinweise gibt:

  1. Vermeidung der bekannten Allergene und Triggerfaktoren
  2. Prävention und Linderung
  3. Kratzen kontrollieren (versprecht euch von diesem Punkt bitte nicht zu viel)
  4. Kratzen und cremen

Zu Punkt 1. Vermeidung der bekannten Allergene und Triggerfaktoren

Voraussetzung für die Vermeidung der Dinge, die die Haut verschlechtern bzw. Juckreiz auslösen, ist natürlich, diese zu kennen und sie dann auch meiden zu können. Allergene, also Stoffe, die Allergien auslösen, kann man mithilfe von unterschiedlichen Allergietests herausfinden.

Grundsätzlich lassen sich Allergene ist drei Gruppen aufteilen:

  • Erstens solche, die man kennt und vermeiden kann, also bestimmte Lebensmittel, Tierhaare und bekannte Dinge wie Jeansknöpfe oder Modeschmuck aus Nickel.
  • Zweitens jene, die man kennt aber kaum umgehen kann wie Pollen, Gräser oder Hausstaub.
  • Drittens schließlich die Stoffe, von denen man nicht weiß, dass man darauf allergisch reagiert oder die versteckt sind, wie es bei Haselnüssen in Schokolade oder Kobalt in Farben und Geldmünzen der Fall sein kann.

Kleidung stellt für viele Allergiker ein großes Problem dar, weil sie keinen Hinweis trägt, welche Pestizide, Chemikalien und Farbstoffe bei der Herstellung verwendet wurden. Das Etikett sagt uns zwar, aus welchem Material das Kleidungsstück hergestellt worden ist, welche Stoffe zum Färben, Veredeln, etc. verwendet wurde, muss nicht erwähnt werden. Und auch Teile wie Reißverschlüsse, Jeansknöpfe und BH-Träger, die häufig Nickel und Kobalt enthalten, werden nicht spezifiziert. Obwohl die Grenzwerte für Nickel in den vergangenen Jahren stark gesenkt wurden, ist es noch immer das häufigste Kontaktallergen in Europa, wobei Frauen häufiger betroffen sind als Männer.

Da allergische Reaktionen spontan oder verzögert erfolgen können, sind Tests sinnvoll, um eine Diagnose stellen zu können und wenigstens die sicheren Allergieauslöser zu kennen.

Weitere Auslöser einer Juckreizattacke sind die sogenannten Trigger– oder Provokationsfaktoren. Diese umfassen neben den Allergenen auch andere Sachverhalte wie Stress, das Wetter bzw. Klima, Tabakrauch, etc.

Diese Trigger zu vermeiden ist nicht so leicht möglich. Was man allerdings tun sollte ist zunächst einmal, sich selbst besser kennen zu lernen. Also zu beobachten, wann juckt es mich, in welchen Situationen kratze ich mich (unkontrolliert) und in welchen Momenten habe ich kein Verlangen, mich zu kratzen? Wenn ich das herausfinde, kann ich verstehen, wie ich „funktioniere“ und dann mein Leben entsprechend gestalten. Sicher ist es nicht möglich, nur noch Situationen zu erleben, in denen ich mich wohl fühle bzw. nicht kratze. Ich kann aber lernen, dann besser mit diesen umzugehen und Techniken erlernen, die ein anderes Verhalten ermöglichen.

Wenn ich also einen Chef habe, in dessen Nähe ich mich unwohl fühle und mich nach jedem Kontakt mit ihm erst mal kratze, habe ich zwei Möglichkeiten:

  1. Ich suche mir eine andere Arbeit. Das ist nicht immer einfach, dem Wohlbefinden zuliebe sollten wir es aber nicht außer Acht lassen.
  2. Ich lerne einen anderen Umgang mit der Situation. Meine persönliche Erfahrung mit einem schwierigen Chef habe ich in meinem Buch beschrieben.

Ich habe u.a. Techniken zur Entspannung gelernt und damit meinen Körper „konditioniert“, in Stress-situationen die Ruhe zu bewahren. Das gelingt zwar nicht immer, aber mit kontinuierlicher Übung wird man darin stetig besser.

Man kann es also schaffen, die Körperreaktionen zu verändern und damit auch den Juckreiz zu verringern.

Wichtig ist, wie erwähnt, sich zunächst selbst zu kennen, denn die Auslöser von Kratzattacken sind bei den Betroffenen sehr unterschiedlich und können sich auch im Verlauf des Lebens ändern. Sie herauszufinden ist also nicht ganz einfach aber nicht unmöglich und verbessert das Wohlsein ganz erheblich.

Zu Punkt 2. Prävention und Linderung

Wie bereits unter Punkt 1 erwähnt, sind Entspannungstechniken ein fantastisches Mittel gegen Juckreiz, die ich nicht häufig genug erwähnen kann, denn ich halte sie für die bedeutendste Prävention.

Eine weitere Möglichkeit, Juckreiz zu verhindern bzw. zu reduzieren, ist die Einnahme von Antihistaminika in bestimmten Situationen. Wenn ich bei Leuten zu Besuch bin und plötzlich feststelle, dass hier eine Katze lebt, nehme ich vorsichtshalber eine Tablette, um eine mögliche allergische Reaktion abzuschwächen oder im besten Fall ganz zu verhindern.

Diese Medikamente sind allerdings keine Dauerlösung, zum einen machen sie oft müde und bei längerer Anwendung tritt meist ein Gewöhnungseffekt ein, so dass die Wirkung nachlässt und die Dosierung erhöht oder ein anderes Mittel genommen werden muss. Abgesehen davon bin ich der Meinung, dass kein nicht-lebensnotwendiges Medikament dauerhaft eingenommen werden sollte.

Wenn der Juckreiz beginnt oder die Haut extrem spannt und gerötet ist, helfen erfahrungsgemäß Schwarzteeumschläge meist sehr. Dafür lässt man den unparfümierten schwarzen Tee etwa zehn Minuten ziehen, damit die Gerbstoffe herausgelöst werden, die den Juckreiz und Entzündungen mildern. Ich würde dabei Tee aus biologischem Anbau nehmen, um eine Reaktion auf Pestizide zu vermeiden. Dann nimmt man Papiertücher, taucht sie in den Tee ein und legte sie auf die betroffenen Hautpartien. Um dem Austrocknen vorzubeugen, sollte man die Umschläge nicht zu lange auf der Haut lassen und diese anschließend gut eincremen.

Der Juckreiz bei Neurodermitis ist so unerträglich wie dieses Foto

Zu Punkt 3. Kratzen kontrollieren

Ja, das Kratzen kontrollieren möchten wir alle, doch es gelingt nur selten. Aus meiner Erfahrung geht das nur, indem man gar nicht erst damit anfängt, siehe Punkt 1 und 2.

Was man tun kann ist, sich Ablenkung zu verschaffen, beispielsweise einen lieben Menschen anzurufen oder sich unter Leute zu begeben, wo kratzen peinlich wäre. Eltern wissen, wie leicht Kinder sich auf eine neue Aktivität einlassen, wenn man sie geschickt dort hinführt. Deshalb sollten sie den Juckreiz nicht zum Thema werden lassen sondern schnell für eine unterhaltsame oder spannende Ablenkung sorgen.

Außerdem kann man versuchen, das Kratzen herauszögern und sich beispielsweise ein Vollbad oder eine Dusche gönnen und danach bewusst eincremen. Manchmal hilft das und man kann den Juckreizimpuls „austricksen“.

Wenn man dem Kratzverlangen erst mal nachgibt, ist es fast unmöglich, dies noch zu kontrollieren. Dabei wird nämlich ein wahrer Teufelskreis in Gang gesetzt, wobei der auslösende Faktor gar keine Bedeutung mehr hat. Man kann einfach nicht mehr aufhören, das Kratzen „verselbständigt“ sich.

Zu Punkt 4. Kratzen und cremen

Und damit sind wir beim letzten Punkt der Juckreizhierarchie angekommen:

Wenn alles nichts hilft, dann einfach mal kratzen!

Ich habe das früher gern etwas dramatisch formuliert, um verständlich zu machen, welche Alternativen ich in so einer akuten Situation hatte: „Entweder ich kratze oder ich springe aus dem Fenster.“ Da für mich letzteres glücklicherweise nie eine Option war, musste ich mich dann ausgiebig zerkratzen. Einer aktuellen Studie zufolge belastet u.a. der Juckreiz die Betroffenen so stark, dass etwa 30 Prozent der chronisch Hautkranken unter Depressionen und Selbstmordgedanken leiden.

In solchen Phasen habe ich dann das Kratzen als Erlösung empfunden. Der Juckreiz kann einen fast in den Wahnsinn treiben und wenn man dann dem Kratzimpuls unkontrolliert nachgibt, ist es fast wie ein kleiner Orgasmus, denn es gibt einen kurzen Moment der Entspannung.

Das klingt wahrscheinlich etwas verrückt, aber dieses Gefühl der Entlastung ist schwer zu vermitteln. Leider ist das Gefühl der Erleichterung nur von ganz kurzer Dauer und weicht dann sofort dem Schuldgefühl und Ärger über sich, dass man die Haut so malträtiert hat. Und dann kommen auch schon Blut und Schmerz dazu.

Kratzen ist natürlich nur die letzte Stufe wenn gar nichts mehr geht. Und deshalb machen Schuldgefühle und Selbst-Vorwürfe auch keinen Sinn, sondern man muss einfach lernen, damit umzugehen und kratzen gehört leider manchmal zur Neurodermitis. Mit einem besseren Verständnis der Erkrankung aber hoffentlich immer seltener!

Mein Video zum Thema Juckreiz habe ich vor allem für das Umfeld der Betroffenen erstellt, um für etwas mehr Verständnis mit dem Leiden zu werben ansehen